August ’23

Das Ende

Die Kindheit unseres Sohnes ist zu Ende. Irgendwie traurig. Hab mich darin  ein wenig heimisch gefühlt. Letzten Montag Morgen: Die Einführungsveranstaltung der Kantonsschule. 230 Junggymnasiast*innen und fast doppelt soviele Eltern trugen in der Aula ihre Unbeschwertheit zu Grabe.

Zur Eröffnung quietschen sich einige Geigen, Bratschen und Celli der richtigen Stimmung entgegen. Der Kammerorchesterleiter dreht sich zum Publikum: Nicht um uns zu begrüssen, nein, das wäre zu offensiv, sondern um zu sagen: Jetzt käm‘ ein Potpourri, bitte erst ganz am Ende klatschen. Der Boden des Leistungsdrucks ist gelegt. Ab da: Schwierig. Bei jeder Pause fragen sich 1000 Hände, ob das jetzt das Ende sei. Mutige klatschen nach 3 Minuten das erste Mal, nach einem unaufgelösten Dominant-Sept-Akkord. Böse Blicke von allen Seiten, die Erstverfehler klatschten nie wieder. Ab da: Ausscheidungsspiel. Wer falsch klatscht, ist raus. Immer wieder – in Pausen, nach Ritardandi oder finalsuggestiven Paukenschlägen – kommt es zu applaudierenden Zuckungen einer zunehmend verstörten und vorzu schrumpfenden Restmasse. Meine Frau wird am Ende des Geigensolos schwach, mein Sohn verklatscht sich, als dem Dirigenten der Stock aus der Hand fällt. Ich gucke auf den Notenordner des Kontrabassisten, und als kein Blatt mehr zum Blättern da ist, kommt mein Moment. Tamtam, ich springe auf, Standing Ovation, rufe erlöst «Grossartig! Wunderbar! Bravo!». Einige, die bis da noch im Spiel sind, folgen mir. Meinem Sohn bin ich unendlich peinlich. Das Ende seiner Kindheit ist wohl auch das Ende seiner Vaterschaftanerkennung, zumal – welche Überraschung – das Orchester offenbar doch noch einige Notenzeilen findet, die es noch nicht gespielt hat.

Anschliessend begrüsst uns der Rektor, berichtet stolz über die Grösse der Schule mit den 2500 Schüler*innen und geht nahtlos über zum Thema Probezeit. Zwei Stunden Hausaufgaben pro Tag müssen drinliegen, wer den Schnitt nicht hält, fliegt raus. Das nächste Ausscheidungsspiel.